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Schwerpunkte

Die Klinik für Psychoanalyse und Psychotherapie vereinigt eine Vielzahl verschiedener Forschungsansätze und -schwerpunkte unter ihrem Dach, die alle in Beziehung zur Psychoanalyse stehen.

Dabei spannt sich der Bogen von Theorie- und Konzeptentwicklung zu kulturtheoretischen, soziologischen und philosophischen Perspektiven. Empirische qualitative und quantitative Forschung nimmt großen Raum ein; sie fokussiert so unterschiedliche Bereiche wie die Psychotherapieforschung, die Psychosomatik, die Suizidforschung, Neuroimaging und die Ausbildungsforschung.

In den gut 50 Jahren ihres Bestehens hat die Klinik mehrere hundert Zeitschriftenartikel und mehr als 70 Bücher hervorgebracht (siehe den Menüpunkt „Publikationen“). Zentral ist in der Psychoanalyse seit jeher der Blick über den Tellerrand, was sich in einer großen Zahl interdisziplinärer Kooperationen mit Nachbardisziplinen abbildet.

Zu den wichtigsten Schwerpunkten existieren eigene Forschungsgruppen, die sich hier vorstellen:

Die Psychotherapieforschung fragt nach der Wirkung und der Wirkungsweise von psychotherapeutischen Behandlungen. In einem großen Projekt konnte belegt werden, dass die Übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP) bei Patientinnen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung wirksam ist. Dabei konnte gezeigt werden, dass nicht nur die Symptome (z.B. Suizidalität) nachlassen, sondern dass auch die Reflexionsfähigkeit erhöht, das Bindungsverhalten verbessert und der Umgang mit der Welt erleichtert werden (Doering et al. 2010, Fischer-Kern et al 2015, Buchheim et a. 2017, Tmej et al. 2021).

Eine weitere Studie fokussiert die Behandlung von Patient:innen mit generalisierter Angststörung mittels der Psychoanalyse.

Andere Studienprojekte zielen auf die Wirkmechanismen psychoanalytischer Psychotherapie: Wie wirkt die Psychotherapie?

In wechselnder Zusammensetzung sind alle Mitarbeiter:innen der Klinik an Psychotherapieforschungsprojekten beteiligt.

Die Psychoanalyse zielt von Anbeginn nicht nur auf die Besserung von Symptomen psychischer Erkrankungen ab, sondern auf tieferliegende Schwierigkeiten, Konflikte und Defizite. Freud formulierte bereits 1904 als Ziel der Psychoanalyse die „Herstellung der Leistungs- und Genußfähigkeit“ – später wurde daraus die Liebes- und Arbeitsfähigkeit.

Die Frage, wie diese Fähigkeiten definiert und auch messbar gemacht werden können, stellt seit Jahren einen wichtigen Schwerpunkt der Klinik dar. Stephan Doering hat das Strukturierte Interview zur Persönlichkeitsorganisation (STIPO, Clarkin et al. 2003; Doering et al. 2013) für den deutschen Sprachraum verfügbar gemacht (siehe Menüpunkt „Forschungsinstrumente“), ebenso wurde von Henriette Löffler-Stastka die Shedler Westen Assessment Procedure (SWAP-200; Westen und Shedler 1999; Löffler-Stastka et al. 2007) übersetzt und validiert.

Ein eigener Fragebogen, das Capacity to Love Inventory, wurde von Nestor Kapusta entwickelt und ist inzwischen in mehreren Sprachen übersetzt (Busch und Kapusta 2017, Kapusta et al. 2018).

Das so genannte Adult Attachment Interview (AAI, Main et al. 1990; Erwachsenenbindungsinterview) mit der daraus abgeleiteten Reflective Functioning Scale zur Erfassung der Fähigkeit, das eigene und das Handeln und Erleben anderer zu verstehen (Fonagy et al. 1998), wurde an der Klinik vielfach angewendet und in der Klinik besteht eines der wenigen Trainingszentren für die Auswertung des AAI.

Einen Schwerpunkt der Forschungstätigkeit in der Psychosomatischen Frauenambulanz bildet die Beschäftigung mit Schwangerschaft und Geburt, wie zum Beispiel dem Geburtserleben bei Kaiserschnitt (Blüml et al. 2012), aber auch mit dem psychischen Erleben von pränataler Diagnostik und pränatalen Untersuchungsmethoden wie der fetalen Magnetresonanztomographie (Leithner et al 2008, 2009). Die Diagnose einer fetalen Fehlbildung beim Ungeborenen stellt eine enorme psychische Belastung für das betroffene Paar dar, was wir in mehreren Forschungsprojekten aufzeigen konnten, wodurch die Etablierung einer psychologischen Betreuung der Paare an der Klinik für Geburtshilfe möglich wurde (Leithner et al. 2004, 2006).

Ein weiterer zentraler Forschungsschwerpunkt ist die Untersuchung der psychischen Folgen und Begleiterscheinungen von unerfülltem Kinderwunsch und neuen Reproduktionsbehandlungen wie IVF, Samen-, Eizellspende und Leihmutterschaft (Kadi&Leithner-Dziubas 2019, Leithner et al. 2020).

In Studien zu Wirkfaktoren in der psychosomatischen Arbeit mit gynäkologischen Patientinnen konnte die Wichtigkeit der subjektiven Krankheitstheorie herausgearbeitet und die Triage-Funktion der Ambulanz für die adäquate Weiterbehandlung psychosomatischer Patientinnen aufgezeigt werden (Springer-Kremser et al. 1997, Fischer et al. 2004). Wir konnten zeigen, dass gynäkologische Ambulanzpatientinnen im Vergleich zu Ambulanzpatientinnen anderer Fachbereiche eine signifikant höhere Prävalenz psychischer Störungen aufweisen und die Hälfte der in der Frauenambulanz behandelten Patientinnen im Laufe ihres Lebens Gewalterfahrungen hatten, worin sich die Notwendigkeit psychosomatischer Betreuung für Frauen in der Gynäkologie und Geburtshilfe zeigt (Leithner et al. 2009, Leithner et al. 2009).

Die Arbeitsgruppe Qualitative Psychoanalytische Forschungsmethoden an der Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie beschäftigt sich mit methodischen und konzeptuellen Fragen psychoanalytischer Forschung. Die Psychoanalyse als „Wissenschaft vom Unbewussten“ erfordert spezifische methodische Zugänge zu ihrem Forschungsgegenstand. Unbewusste Prozesse sollten daher bereits im Forschungsdesign Berücksichtigung finden und explizit in den Phasen der Datenerhebung, Datenanalyse und/oder Interpretation mitkonzeptualisiert sein. So kommt beispielweise der Beachtung von Übertragungs- und Gegenübertragungsdynamiken in der Interviewsituation eine besondere Bedeutung zu (vgl. Theorie des defended subject). Ebenso kann bei der Datenanalyse durch die Einbeziehung von Rêverie-Prozessen bzw. des Resonanzraums einer psychoanalytischen Gruppe eine zusätzliche Dimension eröffnet werden, die unbewussten Dynamiken verstärkt Rechnung trägt. Der Fokus liegt auf Konzept-, Einzelfall- und insbesondere qualitativer Forschung, wobei auch Mixed-Methods-Ansätze verfolgt werden.

Nicht nur die Lehre genießt einen hohen Stellenwert an der Klinik, sondern auch deren Erforschung. Besonderes Interesse galt traditionell der Psychotherapie-Ausbildungsforschung: Einerseits wurden „Kernkompetenzen Therapeutischen Handelns“ operationalisiert (Parth et al. 2019) und empirisch beforscht (Steinmair et al. 2021, Datz et al. 2019, Löffler-Stastka et al. 2019), andererseits wurden die kulturwissenschaftlichen, soziologischen Forschungsansätze in Arbeiten zur Einstellung zur Psychotherapie verfolgt.

Durch die Übernahme von Koordinationfunktionen innerhalb des Medizinstudiums wurden immer wieder auch Forschungsprojekte ermöglicht, so zum Beispiel auch in jüngster Zeit zum E-Learning bzw. Distance Learning (Wadowski et al. 2019), wie auch in der Forschung zur Etablierung der fallorientierten Lehre, die den Studierenden genau jene von unserer Klinik vertretene respektvolle authentische Haltung den Patient:innen gegenüber vermittelt, zu der es eine kontinuierliche Lernerfahrung in einer Kleingruppe benötigt (Turk et al. 2019). Nicht zuletzt wurde die Didaktik-Forschung selbst einer kritischen Reflexion unterzogen (Löffler-Stastka und Wong 2020).

Die Suizidforschung ist seit dem großen Erwin Ringel eine Domäne der Wiener (Medizinischen) Universität. In dieser Tradition steht Nestor Kapusta, der ebenso wie Erwin Ringel und Gernot Sonneck Individualpsychologe ist – und derzeit Präsident des Österreichischen Vereins für Individualpsychologie. Über viele Jahre hinweg hat Kapusta an der Klinik für Psychoanalyse und Psychotherapie eine eigene Arbeitsgruppe aufgebaut und international renommierte Suizidforschung betrieben.

Aus einer Vielzahl von Publikationen, die nicht selten epidemiologische Schwerpunkte hatten, seien nur einige besonders prominente genannt. Es konnte in einer Reihe von Studien mehrfach gezeigt werden, dass der Lithiumspiegel im Trinkwasser negativ mit der Suizidrate in der betreffenden Region korreliert (Blüml et al. 2013, Kapusta et al. 2011, Kapusta und König 2015), was unabhängig von der Verschreibungshäufigkeit von Lithiumpräparaten zu sein scheint (Helbich et al. 2015), die Meereshöhe dagegen einen positiven moderierenden Effekt im Sinne höherer Suizidraten aufweist (Helbich et al. 2013).

Weniger erstaunlich waren die Ergebnisse von Studien zu Antidepressiva-Verschreibungen und Todesfällen durch Suizid, wobei höhere Verschreibungsraten mit weniger Todesfällen assoziiert waren, was für die Effektivität, aber auch für die Notwendigkeit einer adäquaten psychiatrisch-psychotherapeutischen Suizidprophylaxe spricht (Blüml et al. 2017). Wiederum eher unerwartet fanden sich komplexe Korrelationen zwischen Suizidrate und Sonnenscheindauer: Zehn Tage vor dem Suizid hatte mehr Sonnenschein eine negative Wirkung und ging mit mehr Suiziden einher, wohingegen Sonnenschein 14 bis 60 Tage vor der Suizidhandlung eher einen protektiven Effekt hatte (Vyssocki et al. 2014).

Eine Vielzahl weiterer epidemiologischer Studien und konzeptioneller Überlegungen können hier nicht referiert werden, es sei darauf hingewiesen, dass Nestor Kapusta mit seiner Arbeitsgruppe für einen Zertifikatslehrgang Krisenintervention an der MedUni Wien verantwortlich zeichnet und dass er maßgeblich an der Ausarbeitung, Formulierung, Umsetzung und Evaluation des nationalen Berichts Suizid und Suizidprävention in Österreich (BMSGPK 2019) beteiligt war.

Die funktionelle Neurobildgebung steckt an der Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie noch in den Kinderschuhen. Sie wurde mit Stephan Doerings Übernahme der Klinikleitung auf die Agenda gesetzt, um die Psychotherapieforschung zu flankieren. Freud selbst „glaubte“ an die Bedeutung der Neurowissenschaften für die Psychoanalyse, so stellte er 1915 fest „… muss man sich daran erinnern, daß all unsere psychologischen Vorläufigkeiten einmal auf den Boden organischer Träger gestellt werden sollen“ (Freud 1915, S. 143 f.).

Mit diesem Ziel trat Johanna Alexopoulos bereits 2011 ihren Dienst an der Klinik an, brachte EEG-Expertise aus der biologischen Psychologie mit und lernte zunächst am Institut von Georg Northoff in Ottawa die Durchführung und Auswertung der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRI). Wie es beim Aufbau eines neuen Forschungsschwerpunkts ist: Die ersten Jahre gehen mit Lernen und Erproben ins Land. So hat die kleine, sich formierende Arbeitsgruppe zunächst von mitgebrachten Daten aus dem Bereich der sozialen Neurowissenschaften gelebt, die Johanna Alexopoulos ausgewertet und publiziert hat (Pfabigan et al. 2011a, 2011b, Alexopoulos et al. 2012, 2013, 2019). In einem gemeinsamen Projekt mit Georg Northoff konnte ein Biomarker für die Persönlichkeitsfunktion im fMRI nachgewiesen werden (Doering et al. 2012, Enzi et al. 2013).

Ein glückliches Zusammentreffen ergab die Gründung einer interdisziplinären Forschungsgruppe ausgehend von der Kinderklinik der MedUni Wien mit Lisa Bartha-Doering als Gruppenleiterin, die die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten bei Kindern von Geburt bis zum Jugendalter anhand der funktionellen Nahinfrarotspektroskopie (fNIRS) und der fMRT untersucht. Hier wurde eine Reihe von Projekten gestartet und zum Teil bereits beendet (Alexopoulos et al. 2021, Bartha-Doering et al. 2018a, 2018b, 2019, 2020, 2021). Laufende Projekte haben nun das Ziel, aufbauend auf den bisherigen Projekten die Interaktion zwischen Kognition und Emotionen zu erfassen bzw. die Untersuchung der kognitiven Fähigkeiten um psychoanalytische Perspektiven zu erweitern.

Topographien des Körpers: phänomenologische, genealogische und psychoanalytische Forschungen

Im Projekt Topographien des Körpers wurden drei französische Autoren des 20. Jahrhunderts im Hinblick auf ihre Konzepte des Körpers untersucht: Maurice Merleau-Ponty, Jacques Lacan und Michel Foucault. Merleau-Pontys phänomenologischer Zugang hat in besonderer Weise den Erfahrungsbezug und den Leib als gelebten Leib im Blick. Lacans psychoanalytischer Weg ermöglicht eine Einbeziehung von unbewussten Bildungen, (phantasierten) Körperbildern, psychosomatischen Chimären und von topologischen Figuren, deren Körperhaftigkeit methodisch genutzt wird. Die genealogische Orientierung Foucaults führt zum Körper in seinen geschichtlichen und sozialen Dimensionen. Alle drei Autoren favorisieren eine an räumlichen Strukturen orientierte Denkweise des Körpers. 

Das Projekt ist ein Beitrag zu einer Grundlagenforschung am „Leitfaden des Leibes“ (Nietzsche). Neben der Darstellung von Verbindungen und Differenzen zwischen Merleau-Ponty, Lacan und Foucault wurden vor allem konzeptuelle Klärungen für psychoanalytische und phänomenologische Theorien des Körpers geleistet. So sind wichtige Bausteine für eine kritische Theorie des Leibes/Körpers entstanden, die in anderen Wissensfeldern wie der Medizin genutzt werden können.

Das Projekt wurde gefördert vom
Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung

Projektleitung:
Assoz. Prof.in Priv.-Doz.in DDr.in Barbara U. Kadi
Nationaler Forschungspartner:
Mag. Dr. Gerhard Unterthurner (Institut für Philosophie/Universität Wien)

Projektmitarbeiter:innen:
Mag. Dr. phil. s.a.p. Artur R. Boelderl
Dr. phil. Timo Storck
Heidi Wilm, M.A.
Univ.-Doz.in Dr.in Dr.in Silvia Stoller
Mag.a Dr.in Elisabeth Schäfer
Dr. Wolfgang Fasching 

Projektlaufzeit
2014–2019 (56 Monate)
FWF-Projektnummer
P25977-G22

Veranstaltungen
Projektblog
Publikationen

Die Psychoanalyse zeigte bereits in ihren Anfängen auf, dass zwischenmenschliche Beziehungen einen wesentlichen Einfluss auf die psychische und physische Entwicklung des Menschen haben. Paarbeziehungen, in denen übermäßige Konflikte, Kommunikationsprobleme und Liebesfähigkeitsstörungen auftreten, können einen erheblichen Einfluss auf die psychische und körperliche Gesundheit beider Partner und die gesamte Familienstruktur haben.

Die psychoanalytische Objektbeziehungstheorie stellt ein theoretisches Rahmenwerk zur Verfügung, in dem die Psychodynamik zwischenmenschlicher Beziehungen intrapsychisch als auch interpersonell konzeptualisiert und operationalisiert werden kann. Einen Fokus des Forschungsbereichs Couple Relationship Research unter der Leitung von Assoc. Prof. PD Dr. Nestor Kapusta bildet die Forschung zur Liebesfähigkeit und zu Psychoanalytischer Paartherapie.